Redebeitrag nofundi[m]ärsche

Wir sind die Gruppe nofundi[m]ärsche. Wir sind für ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung. Wir wollen heute aber auch was zu Selektion durch Pränataldiagnostik sagen und diese kritisieren. Denn dieser Aspekt kommt unserer Meinung nach oft in der Kritik an den Fundis, aber auch in den Forderungen für sexuelle Selbstbestimmung, zu kurz.

Pränataldiagnostik, kurz PND, umfasst verschiedene vorgeburtliche Untersuchungen, z.B. Nackenfaltenmessungen, Ultraschall oder auch Blutentnahmen, wie beim neuen Pränatest. Wir unterscheiden zwischen selektiven und nicht-selektiven Untersuchungen. Nicht selektive Untersuchungen untersuchen z. B. den Gesundheitszustand der Frau, dagegen prüfen selektive Untersuchungen den Fötus auf körperliche oder genetische Abweichungen.

Wir lehnen selektive Pränataldiagnostik ab!

Wenn beim Fötus Abweichungen von der medizinischen Norm diagnostiziert werden, kommt es meistens zum Schwangerschaftsabbruch. Der Abbruch kann dann bis kurz vor der Geburt auf Grundlage der sogenannten medizinischen Indikation erfolgen. Dabei wird mit der Gefährdung der psychischen Gesundheit der Schwangeren argumentiert, die aufgrund der Beeinträchtigungen des Fötus entstehen. Dass schwangere Personen sich in solchen Fällen für einen Abbruch entscheiden, wundert nicht.

Gesellschaftliche Bilder von Behinderung und Beeinträchtigungen sind häufig negativ. Behinderung gilt als ein zu vermeidender Zustand der Abhängigkeit und des Verlusts. Viele können sich ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderung nicht vorstellen. Mit der Weiterentwicklung pränataler Diagnostik eröffnen sich immer neue Möglichkeiten der angeblich möglichen Vermeidung von Behinderung. Verfahren zur vorgeburtlichen Selektion sind ableistische Praktiken in einer Gesellschaft, die auf kapitalistischer Verwertung basieren und behinderte Menschen diskriminieren.

Pränataldiagnostische Untersuchungen sind aber nicht nur behindertenfeindliche Praktiken, sondern setzen zugleich auch schwangere Personen unter Druck, die immer mehr für die Gesundheit und „Qualität“ ihres Nachwuchses zur Verantwortung gezogen werden. Ein Recht auf Nichtwissen für Schwangere gibt es de facto nicht, vorgeburtliche Untersuchungen sind zur Normalität geworden.

Der Fokus der selbsternannten Lebensschützer hat sich innerhalb der letzten Jahre stark auf die Themen PND und Kritik an Selektion verschoben. Ihre Kritik an Selektion funktioniert aber nur, weil sie Schwangeren generell jegliches Entscheidungsrecht über ihren Körper absprechen.
Zu oft können sie sich als Verbündete von Behinderten präsentieren. Doch eigentlich instrumentalisieren sie die Interessen behinderter Menschen, wenn sie ‚Ja zu Inklusion‘ und ‚Nein zu Selektion‘ fordern. Für reale Lebensbedingungen nach der Geburt, geschweige denn eine wirkliche Gleichstellung Behinderter haben sich die Lebensschützer noch nie interessiert.

Umso wichtiger ist es, eine queer-feministische Position zu entwickeln, die nicht die Kritik an PND und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gegeneinander ausspielt, sondern zusammendenkt. Wir dürfen die Kritik an pränataler Diagnostik nicht konservativen und religiösen Kreisen überlassen!

Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine legitime Entscheidung, die weder im Strafgesetzbuch noch mit Zwangsberatungen geregelt sein sollte. Wir fordern deswegen die Streichung des Paragrafen 218 und ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung.
Wir fordern zugleich das Verbot selektiver Untersuchungen, die darauf abzielen, potenzielle Behinderungen zu entdecken.

Denn wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der Schwangeren nicht die Verantwortung zugeschoben wird, gesunden Nachwuchs zur Welt zu bringen. Eine Gesellschaft, in der Personen keine Nachteile daraus entstehen, wenn sie ein behindertes Kind haben. Eine Gesellschaft, in der Behinderung nicht als zu vermeidende Last gesehen wird.

Lasst uns gemeinsam für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und gegen Selektion und Ableism kämpfen.