„Willkommenskultur für Neugeborene“ – What the fuck!?

Rassistische Bevölkerungspolitiken vom deutschen Kolonialismus bis heute

Die selbsternannte Lebensschutzbewegung hat sich angeblich dem Schutz der Familie verschrieben. Wenn wir genauer hinschauen, lässt sich erkennen, dass hiermit meist nur ganz bestimmte Familien gemeint sind: weiß, deutsch, christlich und hetero. Wenn auf dem sogenannten „Marsch für das Leben“ Schilder eine „Willkommenskultur für Neugeborene“ fordern und so eine pro-natalistische Politik für Inländer*innen gegen das Recht auf Asyl in Anschlag bringen oder die AfD mit dem Slogan „Neue Deutsche – machen wir selbst“ wirbt, wird das mehr als deutlich.

Dass konservative Diskurse um Fortpflanzung und Familie mindestens anschlussfähig für extrem rechte Ideologien sind, ist wenig verwunderlich: Ehe, Familie und Geburt sind der Punkt, über den auch Zugehörigkeiten wie Staatsbürgerschaft verhandelt werden – und die Schnittstelle, an der sich Vorstellungen von Geschlecht, „Volk“ und „Rasse“ kreuzen.

Dabei können radikale AbtreibungsgegnerInnen auf altbekannte rassistische Motive und Ängste zurückgreifen. Die Geschichten von Kämpfen um reproduktive Gerechtigkeit und körperliche Selbstbestimmung sind komplex. Verhütung und Schwangerschaft von Schwarzen Menschen und PoC, Jüd*innen, BeHinderten, Migrant*innen und Trans* wurden und werden spezifischen, diskriminierenden Kontrollpraktiken unterworfen. Gerade vor dem Hintergrund der rassistischen „Volkstod“-Szenarien ist es wichtig, sich mit dieser Geschichte zu befassen.

Bevölkerungspolitik im deutschen Kolonialismus

Weiße deutsche KolonisatorInnen verfolgten schon immer gezielte Mittel der Bevölkerungs-kontrolle in den besetzten Gebieten, auch wenn diese Politiken zum Teil widersprüchlich waren. Nachdem man in der Anfangsphase Abtreibungen erleichtert hatte, um schwangerschaftsbedingte Ausfälle von versklavten Zwangsarbeiter*innen zu vermeiden, sah man sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem starken Bevölkerungsrückgang in den kolonisierten Gebieten konfrontiert. Im damaligen Deutsch-Ost-Afrika zum Beispiel erließ man Abtreibungsverbote und richtete unter dem euphemistischen Titel „Müttergesundheit“ zahlreiche Geburtszentren ein und illegalisierte traditionelle Geburtshelferinnen. Dieser Titel verschleiert nicht nur, dass es hier nicht um die Gesundheit der kolonisierten Menschen, sondern um die Sicherung von Zwangsarbeitskräften für die Zukunft ging, sondern schiebt auch falsche Ursachen für den Bevölkerungsrückgang vor. So werden statt Versklavung, Zwangsarbeit, schlechten hygienischen Bedingungen, Armut und Hunger – alles durch die EuropäerInnen herbei geführte Faktoren – die Praktiken der örtlichen Geburtshelferinnen sowie eine angeblich fehlende Sexualmoral und -hygiene als Ursachen dargestellt. Interessanterweise sind diese Stereotypen die gleichen, die heute benutzt werden, um eine angebliche Überbevölkerung zu behaupten. Besonders groß war die Angst vor „rassischer Vermischung“ [sic!], in allen deutschen Kolonien wurden sogenannte Mischehenverbote erlassen. Die Imagination eines reinen, weißen „Volkskörpers“, den es zu schützen gelte, zieht sich durch die deutsche Geschichte.

Auch nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Verlust der Kolonien bestanden „Mischehenverbote“ im Inneren Deutschlands fort, Regelungen zur Vaterschaft und Staatsangehörigkeit von Kindern aus den ehemals kolonisierten Gebieten wurden durch die Rückkehr weißer Deutscher mit ihren Familien verschärft. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden, vor allem im von Frankreich besetzten Rheinland, Kinder von weißen deutschen Frauen und Schwarzen Soldaten der Kolonialtruppen geboren. Diese Kinder wurden in Pamphleten, Radiobeiträgen und sogar neu geprägten Münzen zu einem Symbol einer imaginierten „Rassenschande“ stilisiert. Sie wurden angefeindet, diskriminiert und als uneheliche Kinder in Listen erfasst. Diese Listen wurden später im NS benutzt, um sie ausfindig zu machen. Weit über 400 von ihnen wurden später in einem Geheimprogramm der Gestapo zwangssterilisiert.

Rassistische Bevölkerungspolitik im NS

Das sogenannte „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 und die 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze, bestehend aus dem sogenannten Blutschutzgesetz und dem Reichsbürgergesetz, stellten die juristische Manifestation der antisemitischen und rassistischen Nazi-Ideologie dar. Neben dem Verbot der Eheschließung und des Geschlechtsverkehrs mit Jüd*innen, regelten die zugehörigen Verordnungen und Kommentare auch den Ausschluss anderer Minderheiten. So waren ab 1936 Eheschließungen und Sex mit Roma und Sinti verboten. Eheschließungen mit Schwarzen Menschen wurden ebenfalls verboten, zudem verloren sie ihre Reichsbürgerschaft. Außereheliche Liebesbeziehungen wurden zwar nicht explizit verboten, de facto aber dennoch häufig verfolgt. Obwohl Nazideutschland bezüglich Schwarzer Menschen keinen systematischen Vernichtungsplan wie bei anderen Opfergruppen verfolgte, wurden sie vielfach in Konzentrationslager verbracht.

Kontinuitäten nach 1945

Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Kinder weißer deutscher Frauen und in Deutschland stationierter Schwarzer Soldaten wurden zum Gegenstand einer zutiefst rassistischen Debatte, die vor allem unter dem Kostenaspekt nicht durchsetzbarer Unterhaltsansprüche geführt wurde. In einer Bundestags-Aussprache wurde unter anderem die Möglichkeit debattiert, diese Kinder, die für die klimatischen Bedingungen in Deutschland angeblich nicht geeignet seien, in afrikanische Länder umzusiedeln.

Für die ab 1955 über Anwerbeabkommen in die BRD gekommenen Menschen bestand der erste Kontakt zum deutschen Gesundheitssystem oft in entwürdigenden Reihenuntersuchungen, bei denen sie sich vor dutzenden anderen bis auf die Unterhose entblößen mussten. Dazu gehörten auch sogenannte sexualmedizinische Untersuchungen – den ausländischen Arbeitnehmer*innen wurde per se eine höhere Infektionsrate für sexuell übertragbare Krankheiten zugeschrieben.

Auch in der DDR gab es weiterhin rassistische Bevölkerungspolitiken. Auch wenn die DDR im Hinblick auf körperliche Selbstbestimmung, Verhütung und Abtreibung gemeinhin als progressiver dargestellt wird, als die BRD, galten diese Rechte nicht für alle in der DDR lebenden Menschen. So mussten sogenannte Vertragsarbeiter*innen, die während ihres Aufenthaltes in der DDR schwanger wurden, entweder einen Abbruch vornehmen lassen – oder ausreisen. Nach ihrer Rückkehr ins Herkunftsland mussten sie die Kosten für ihren Aufenthalt in der DDR (z.B. Ausbildung, Unterkunft etc.) abbezahlen, was angesichts der Verdienstmöglichkeiten in der Realität nicht zu schaffen war.

Und heute?

Heute ist „Bevölkerungspolitik“ ein offizieller Bestandteil deutscher „Entwicklungszusammenarbeits“- Vereinbarungen, seit 2012 wird der Bereich „Familienplanung“ zunehmend priorisiert. Das Ziel scheint aber nicht eine Steigerung der reproduktiven Selbstbestimmung von Menschen im globalen Süden zu sein, sondern die Angst vor einer eingebildeten Überbevölkerung. Gefördert werden vor allem Verhütungsimplantate, die nicht selbständig abgesetzt werden können und für deren Entfernung im Gegensatz zum Einsetzen die Finanzierung in einigen Programmen nicht geregelt ist. Derweil besteht eine krasse Diskrepanz zwischen deutschen „Entwicklungszusammenarbeits“-Ausgaben für „Bevölkerungsprogramme“ und jenen für Basisgesundheitsversorgung – letztere erhalten tatsächlich weniger Mittel! Dabei werden wirtschaftliche Gewinne deutscher Konzerne über gesundheitliche Bedenken gestellt: Jadelle, ein Verhütungsimplantat der Firma Bayer, wird in Aufklärungsbroschüren der GIZ zentral gesetzt und sogar als nebenwirkungsarm bezeichnet. Dabei wurde das Vorgängermedikament von Jadelle mit genau dem gleichen Wirkstoff in Deutschland selbst zwar 1955 zugelassen, aber nie vermarktet.

Leerstellen in der feministischen Auseinandersetzung

Aber auch innerhalb feministischer Kontexte müssen wir uns mehr damit auseinandersetzen, dass reproduktive Rechte und Verhütung aufgrund ihrer Geschichte beispielsweise von Schwarzen und People of Color oft als komplexer und auch problematischer empfunden werden. Pro-Choice-Diskurse, die Kämpfe um reproduktive Gerechtigkeit auf die Verfügbarkeit von Abtreibungen reduzieren, blenden das ebenso aus, wie die Verstrickung weiß dominierter feministischer Bewegungen in rassistische Bevölkerungspolitiken.

So war es zum Beispiel die deutsche koloniale Frauenbewegung, die sich massiv für die sogenannten „Mischehenverbote“ einsetzte und für die Ansiedlung weißer Frauen in den kolonisierten Gebieten warb, um nach dem Prinzip der „geistigen Mütterlichkeit“ die Männer vor ihren Trieben zu bewahren und zu verhindern, dass sie sich mit Schwarzen Menschen und People of Color einließen. Aber auch, weil sie sich einen Machtgewinn erhofften, indem sie zwar nicht ihren Männern gleichgestellt waren, aber immerhin über den Kolonisierten standen.

Doch damit hört diese Geschichte nicht auf. Gerade die Verhütungspille wird von weißen feministischen Bewegungen oft als große Errungenschaft gefeiert, die eine nie dagewesene Kontrolle über den eigenen Körper und eine freiere Sexualität ermöglichte. Dabei wurde sie auf dem Rücken von Schwarzen und People of Color entwickelt. Nachdem in den USA nicht genug freiwillige Testpersonen gefunden wurden, verlegte man die Pillentests ins von den Staaten annektierte Puerto Rico. Vorangetrieben wurde die Versuchsreihe auch von Planned Parenthood. In den 1950er Jahren nahmen über 1500 Puerto Ricaner*innen Testversionen der Pille. Dabei griffen die MedizinerInnen vor allem auf die ärmsten Bevölkerungsschichten und Menschen in Institutionen zu. Die meisten Testpersonen waren Gefängnisinsassinnen und Bewohnerinnen staatlicher Wohnprojekte. Den Testpersonen wurde nicht mitgeteilt, dass es sich um ein experimentelles, noch nicht zugelassenes Medikament handelt. Viele Frauen berichten, dass andere Verhütungsmethoden in den Begleitgesprächen nicht thematisiert wurden.
Viele Betroffene trugen gesundheitliche Langzeitschäden davon, waren de-facto sterilisiert oder erlitten später Fehlgeburten. Drei Frauen starben – auf eine Autopsie verzichteten die Pharmaunternehmen.

Die in diesem Beitrag genannten Beispiele sind weit von einer vollständigen Aufzählung rassistischer Eingriffe in die reproduktive Selbstbestimmung in der deutschen Geschichte und Gegenwart entfernt. Dennoch lässt sich darin eine Kontinuität ausmachen, die gefährlich ist.

Pro Choice heißt deshalb nicht nur, für Abtreibungsrechte zu kämpfen, sondern auch anzuerkennen, dass Diskurse um körperliche und sexuelle Selbstbestimmung vielschichtig sind und durch unterschiedliche Diskriminierungsformen strukturiert werden. Queer-feministischer Aktivismus rund um Reproduktion darf sich vor Auseinandersetzungen damit nicht scheuen.

Maria Magdalena, organisiert im What the fuck-Bündnis

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