Vom 9. bis zum 13. Juli 2014 findet auf dem Tempelhofer Feld das christliche Sommerfest »Ick brauch keen Hawaii« statt. Veranstaltet wird das Fest vom Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) sowie dem Gemeinschaftswerk Berlin-Brandenburg innerhalb der evangelischen Kirche (GWBB). Das Programm umfasst »Sport, Kunst, Musik, Spiel, Kreativität, Grillen und Chillen« und abends »findet zum Abschluss ein Gottesdienst mit interessanten Gästen und guter Musik statt.« [1]
Überschneidung mit Evangelikalen
Das klingt alles erstmal ziemlich harmlos. Ist es aber nicht. Denn der CVJM und das GWBB weisen sowohl personelle als auch ideologische Überschneidungen mit evangelikalen, also fundamentalistischen Christ_innen auf. Evangelikale betrachten die Bibel – zum Teil wortwörtlich – als Grundlage des Lebens. In christlich-fundamentalistischen Kreisen finden sich häufig diskriminierende und menschenverachtende Positionen. Dabei stellen die Positionen der Evangelikalen jedoch immer nur die konsequente Fortführung von nicht-fundamentalistischen Ansichten dar. Wenn beispielsweise die Evangelische Kirche in Deutschland »die Ehe als bewährte Form des Zusammenlebens von Mann und Frau« bezeichnet und der Ansicht ist, sie solle »auch künftig als Leitbild dienen« [2], dann ist das nur die Grundlage dafür, dass Evangelikale offen gegen Lesben und Schwule hetzen. Die Grenzen sind hier nicht nur fließend, sie verschwimmen. Vieles von dem, was Evangelikale vertreten, findet sich – wenn auch in anderer Form – in den beiden großen Kirchen wieder.
Homosexualität als »Sünde«
Homosexualität wird von Evangelikalen nicht selten als »Sünde« betrachtet und einige evangelikale Organisationen schreiben sich noch immer die angebliche »Heilung« von Lesben und Schwulen auf die Fahne, so zum Beispiel auch das »Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft« (DIJG). Unter dem irreführenden Stichwort »Recht auf Selbstbestimmung« engagiert sich das DIJG eigenen Angabe zufolge für Menschen, »die unter ihren homosexuellen Gefühlen leiden und diese als unvereinbar mit ihren Wünschen und Überzeugungen ansehen«. [3] Dabei wird selbstverständlich übersehen, dass die heteronormative Gesellschaft in der wir leben, und insbesondere christliche Akteur_innen dieses »Leid« überhaupt erst produzieren. Lesben und Schwule wachsen in einer Gesellschaft auf, die ihnen immer wieder vermittelt, ihre Gefühle seien nicht »normal«. In evangelikalen Kreisen kommt hinzu, dass Homosexualität als »Sünde« bezeichnet wird. Da ist es kein Wunder, dass schwule und lesbische Christ_innen sich an das DIJG wenden, weil »sie sich eine Ehe oder ein gelingendes sexuell abstinentes Leben« wünschen. [4]
Trans*feindliches Geschlechtsbild
Die DIJG vertritt zudem ein äußerst biologistisches und trans*feindliches Verständnis von Geschlecht. In Zusammenhang mit geschlechtsangleichenden Operationen von Trans*-Menschen heißt es: »In Wirklichkeit können chirurgische Eingriffe das Geschlecht nicht verändern. Es ist genetisch festgelegt« [5] In dem Text werden Trans-Frauen* durchgängig als »Männer« und Trans-Männer* als »Frauen« bezeichnet. Geschlecht kann aber nur über die Selbst-Definition der Betreffenden definiert werden. Trans-Frauen* sind Frauen* und Trans-Männer* sind Männer*. Punkt. Diese Selbstdefinition nicht zu respektieren, ist trans*feindlich.
Der »Hardliner« Roland Werner
Die DIJG ist das Studien- und Forschungszentrum der evangelikalen Offensive Junger Christen (OJC). Die OJC betreibt das Reichelsheimer Europäische Jugendzentrum (REZ). Das REZ ist wiederum Mitglied im CVJM Westbund, dem größten Landesverband des CVJM in Deutschland. Bei solchen Verbindungen des CVJM zu Evangelikalen ist es nicht verwunderlich, dass Roland Werner derzeit Generalsekretär des CVJM ist. »Er gilt als einer der Hardliner im Verband, der die ›Heilung‹ von Homosexualität anstrebt – in Deutschland ist er damit einer der prominentesten Vertreter der Ex-Gay-Bewegung. Seine eigene, ›inzwischen überwundene homosexuelle Neigung‹ sieht er nicht als Sünde an, praktizierte Homosexualität sei dagegen ein Verstoß gegen göttliches Gesetz. In der Vergangenheit leitete er Kurse mit Titeln wie ›Auswege aus der Homosexualität‹. In seinem Buch ›Homosexualität – ein Schicksal?‹ propagierte er die ›innere Heilung‹ von Schwulen und Lesben.« [6] Und so ist es keine Überraschung, dass im Juli 2011 ein schwuler Student bei der von Roland Werner durchgeführten Abschlussfeier des CVJM-Kolleg in Kassel nicht offiziell verabschiedet und gesegnet wurde. [7]
Roland Werner übt Scharnierfunktion aus
Roland Werner übt gewissermaßen eine Scharnierfunktion aus. Er verbindet personell die gemäßigten mit den evangelikalen Christ_innen. Denn er ist nicht nur Generalsekretär des CVJM, sondern auch Vorsitzender von proChrist e.V. und war von 1993 bis 2010 Vorsitzender des Christival e.V., beides evangelikale Organisationen. Der Verein proChrist betreibt missionarische Arbeit: »Durch proChrist sollen möglichst viele Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern das Evangelium von Jesus Christus hören.« [8] Das Christival ist ein von der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) getragener Jugend-Kongress, der zuletzt 2008 in Bremen stattfand. Das nächste Christival ist für 2016 in Karlsruhe geplant. Dabei wird der CVJM erneut mit der evangelikalen DEA kooperieren. Die DEA ist mit laut eigenen Angaben 1,3 Millionen Mitgliedern der größte evangelikale Dachverband in Deutschland.
Kooperation zwischen CVJM und DEA
Die Kooperation zwischen dem CVJM und der DEA ist nichts Neues. Zur Expo 2000 betrieben beide Organisationen gemeinsam den »Pavillon der Hoffnung«, den offiziellen Jugend-Pavillon der Expo 2000. [9] Eine weitere Verbindung zur DEA zeigt sich durch die Person Andreas Kämpf. Er ist Teil des CVJM-Vorstands und hielt 2013 bei der »Allianzkonferenz« der DEA Gottesdienste ab. [10] Außerdem würdigte er ein »konstruktives Miteinander zwischen dem Evangelischen Allianzhaus und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland«. [11] Auch im Marburger Jugendnetzwerk arbeitet der CVJM mit der DEA zusammen. [12] Der CVJM erhielt zudem das »Spenden-Prüfzertifikat der Deutschen Evangelischen Allianz«. [13] Vertrauen zueinander scheint also auf beiden Seiten vorhanden zu sein.
GWBB hat keine Berührungsängste zur DEA
Auch das Gemeinschaftswerk Berlin-Brandenburg innerhalb der evangelischen Kirche (GWBB) hat kaum Berührungsängste zur DEA. Friedhelm Geiß, Mitglied im Vorstand des GWBB, liked beispielsweise bei facebook die DEA und das ihr nahestehende Medienunternhemen ERF Medien sowie die evangelikale Nachrichtenagentur idea. [14] Und Gerd Zelmer, stellvertretender Vorsitzender des GWBB, ist verantwortlich für die Anmeldung zu »Glaubenskursen« der »Evangelischen Allianz Rathenow«. [15] Außerdem wird in GWBB-Publikationen die »Allianzkonferenz« der DEA beworben. [16] Zudem kooperierte das GWBB beim »Jahr der Stille« 2010 mit der DEA. [17]
Neokoloniale Missionierung
In einem Interview mit Bibel TV aus dem Jahr 2013 erläuterte Roland Werner, welche Ziele der CVJM sich für die kommenden Jahre gesetzt hat: »Wir wollen öffentlich wahrnehmbarer werden, wir wollen das Missionarische stärken und wir wollen die Internationalität stärken.« Was sich unter anderem hinter dem Begriff »Internationalität« verbirgt, erklärt Roland Werner so: Der CVJM wolle dabei helfen, »dass auch der internationale YMCA [englischer Name des CVJM, Anmerkung von uns] sich zurückbesinnt auf das C [christlich, Anmerkung von uns].« Denn »in manchen Ländern ist das C meines Eindrucks nach etwas in den Hintergrund gerückt. […] Aber es gibt eine neue Bewegung jetzt dazu, dass auch gerade durch diese Partnerschaften, auch durch manche deutsche CVJM, die sich sehr engagiert haben, zum Beispiel in Südamerika oder in Afrika, auch dort nach Deutschland geschaut wird und sagt: ›Ihr erinnert uns immer an das C, Ihr erinnert uns daran, dass Jesus Christus ins Zentrum des CVJM gehört. Das wollen wir auch.‹« Dass sich deutsche Christ_innen anmaßen, in afrikanischen und südamerikanischen Ländern das Christentum verbreiten zu dürfen und zu müssen, ist eine neokoloniale Variante der Missionierung, die auch unter dem Stichwort »CVJM Weltweit« als so genannte »Entwicklungshilfe« betrieben wird. Diese geht von der Auffassung aus, »wir« in Europa müssten »denen« in Afrika »helfen«. Dabei gelten Europäer_innen unabhänging von ihren tatsächlichen Qualifikationen automatisch als Expert_innen und Afrikaner_innen als »Hilfsbedürftige«. Bereits seit Jahren gibt es Kritk daran, dass von der Arbeit, die europäische Jugendliche im Rahmen eines »Freiwilligen Sozialen Jahres« (FSJ) leisten, letzten Endes nur diese Jugendlichen selbst profitieren. Nachdem sie ihren »Horizont« erweitert haben, indem sie ein bisschen in die Welt der Armut hereinschnuppern konnten, kehren sie zurück ins flauschige Heim. Geflissentlich wird hier übersehen, dass die Armut in afrikanischen Ländern eine Folge der kolonialen Ausbeutung ist und weiter aufrecht erhalten wird duch neokoloniale Machtstrukturen. Die »Entwicklungshilfe« ist ein Teil dieser Machstrukturen, da sie die Abhängigkeit des globalen Südens vom globalen Norden aufrecht erhält.
Alles skandalös?
Dass ein christliches Festival mit eindeutigen Verbindungen ins evangelikale Lager auf dem Tempelhofer Feld stattfinden kann, ist einfach nicht hinnehmbar. Ein Skandal ist es aber unserer Ansicht nach nicht. Denn es wundert uns ehrlich gesagt nicht, dass die für die Vermietung des Tempelhofer Feldes zuständige »Tempelhof Projekt GmbH« eine solche Veranstaltung zulässt. Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der ein Schwangerschaftsabbruch noch immer eine Strafttat ist (§ 218 StGB), die nur unter bestimmten Umständen nicht bestraft wird. Wir leben in einer Gesellschaft, in der »schwul« eines der beliebesten Schimpfwörter auf Schulhöfen ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Inter*- und Trans*-Personen strukturell diskriminiert werden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine faschistische Mörder_innen-Bande jahrelange ungestört rassistische Morde begehen konnte. Kurz: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Diskriminierung und Gewalt alltäglich sind. Deshalb ist es zwar richtig und wichtig, das Sommerfest »Ick brauch keen Hawaii« und die damit verbundenen Formen von Diskriminierung kritisch zu beäugen; wir müssen aber auch danach fragen, welche gesellschaftlichen Ursachen dahinter stehen.
Kirche und körperliche Selbstbestimmung
Dass die Kirche und evangelikale Gemeinden nur selten emanzipatorische Ansichten haben, was Schwangerschaftsabbrüche angeht, dürfte allen bekannt sein, die sich ein bisschen mit diesem Thema beschäftigt haben. Das Recht von Schwangeren auf einen Abbruch der Schwangerschaft ohne bevormundende Beratungen muss endlich umgesetzt werden. Die DEA ist eine der entschiedensten Gegner_innen des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung. Der Protest gegen evangelikale Christ_innen sollte also auch nach dem Festival »Ick brauch keen Hawaii« weitergehen. Ein wichtiger Termin dazu wird der 20. September 2014 sein, an dem erneut der »Marsch für das Leben« in Berlin stattfinden wird, eine christlich-fundamentalistische Demonstration, die Schwangerschaftsabbrüche vollständig illegalisieren will.
Aktiv werden!
Deshalb rufen wir Euch – alle Menschen, für die ein Leben ohne Angst keine Utopie bleiben soll – dazu auf, gegen christlichen Fundamentalismus aktiv zu werden. Bevor es im September Proteste gegen den »Marsch für das Leben« geben wird, könnt Ihr Euch bereits vom 9. bis zum 13. Juli protestmäßig aufwärmen, indem Ihr das christliche Festival auf dem Tempelhofer Feld (Eingang Oderstraße, Nahe U-Bahn-Station Boddinstraße) stört. Wie, das bleibt Euch und Eurer Kreativität überlassen. Ihr könnt mit Schildern und aufgeblasenen Kondomen das Festival besuchen, ein Transparent am Zaun des Feldes aufhängen, mit Kreide Parolen auf den Gehweg malen, das Bühnenprogramm kritisch mitgestalten, die »Tempelhof Projekt GmbH« kontaktieren, ein homo-/trans*-freundliches Kiss-In machen, oder Euch selbst ausdenken, wie Ihr Euren Protest artikulieren wollt.
Gegen christlichen Fundamentalismus!
Für ein Leben ohne Angst!
Anmerkungen:
[1] http://www.keenhawaii.de/info/
[2] http://www.ekd.de/aktuell_presse/pm_2013_07_10_99_ekib_orientierungshilf…
[3] http://www.dijg.de/homosexualitaet/stellungnahme-dijg/
[4] http://www.dijg.de/homosexualitaet/fuer-eine-uebersehene-minderheit/
[5] http://www.dijg.de/transsexualitaet-geschlechtsumwandlung/operation-psyc…
[6] http://www.queer.de/detail.php?article_id=14603
[7] http://www.idea.de/nachrichten/detail/thema-des-tages/artikel/eklat-um-a…
[8] https://www.prochrist.org/prochrist-ev/prochrist/leitbild
[9] http://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Spatenstich_fuer_den_Pavillon_…
[10] http://www.allianzhaus.de/fileadmin/daten/dokumente/allianzhaus/allianzk… (Seite 4 & 9)
[11] http://www.ead.de/fileadmin/daten/dokumente/eins/EINS%20web%20gesamt.pdf (Seite 30)
[12] http://mrjn.efg-hassenhausen.de/?page_id=42
[13] http://www.cvjm.de/presse-bereich/presse-archiv/presse-2010/cvjm-gesamtv…
[14] https://de-de.facebook.com/friedhelm.geiss
[15] http://www.kurse-zum-glauben.de/kurse-finden/detailansicht-einrichtungen…
[16] http://www.gwbb.de/wp-content/uploads/2011/11/freizeiten_webversion1.pdf (Seite 32) & http://www.gwbb.de/wp-content/uploads/2013/11/entstand-web.pdf (Seite 32)
[17] http://www.jahr-der-stille.de/index.php?node=6
Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/117915