Der Antifeminismus der Neuen Rechten mit Blick auf den „Marsch für das Leben“
Am 21. September ist es wieder soweit. Zum 17. Mal wollen selbsternannte „Lebensschützer*innen“ durch Berlin ziehen, um erneut schweigend gegen Schwangerschaftsabbrüche zu demonstrieren. Feminismus und das generelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Schwangeren sind dabei erklärte Feindbilder der „Lebensschutz“-Bewegung. Mit dieser Ideologie teilen sie die Weltsicht der Neuen Rechten. Dennoch fanden sich in den vergangenen Jahren immer weniger bekannte Gesichter unter den Teilnehmenden. Ein Überblick.
Seit den ersten Demonstrationen zu Beginn der 2000er Jahre des damals noch unter dem Motto „1000 Kreuze für das Leben“ stattfindenden Schweigemarschs finden sich unterschiedliche Akteur*innen aus christlich-fundamentalistischen Zusammenhängen in Berlin zusammen. Organisiert wird der „Marsch für das Leben“, wie er seit 2007 heißt, maßgeblich vom Bundesverband Lebensrecht (BVL). Neben ähnlichen Protesten, die vom BVL mit organisiert oder unterstützt werden, u. a. in Münster, Fulda, München und Annaberg-Buchholz, stellt der Aufmarsch im September in Berlin den Höhepunkt der über das ganze Jahr stattfindenden Kampagne gegen Abtreibungen dar. Trotz abnehmender Teilnehmer*innenzahlen in den vergangenen Jahren ist der „Marsch für das Leben“ immer noch die größte Veranstaltung ihrer Art und hat enorme Bedeutung für die selbsternannten „Lebenschützer*innen“ im deutschsprachigen Raum. So bietet der streng orchestrierte Ablauf zahlreichen Akteur*innen aus unterschiedlichen Spektren der Bewegung die Möglichkeit, ihre jeweiligen Botschaften nebeneinander zu verkünden. Dabei kommen bzw. kamen aber nicht nur reaktionäre Kirchenvertreter*innen zu Wort, sondern auch Persönlichkeiten, die weniger für ihr kirchliches, als vielmehr ihr politisches Auftreten bekannt sind.
Akteur*innen auf Tuchfühlung
Gerade die Auseinandersetzung um die §§ 218 und 219a, feministische Kämpfe zur Abschaffung eben jener Paragrafen, und die Prozesse gegen Ärzt*innen, die wegen angeblicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche vor Gericht stehen, führte zur einer verstärkten medialen Fokussierung auf die Gegner*innen von Abtreibungen. Dabei rückte vor allem die AfD als deren lauteste Stimme in den Mittelpunkt. Bereits in den Gründungsjahren vertraten Vertreter*innen der Partei neurechte Positionen der „Lebensschutz“-Bewegung. So forderte Frauke Petry einst eine Volksabstimmung zur Verschärfung des § 218 und propagiert immer wieder ein traditionelles Familienbild.
Die abnehmende Zahl der Teilnehmenden in 2018 lässt sich neben dem schwindenden Interesse an einem immer wieder gleich ablaufenden Aufmarsch auch mit der Frage der Einstellung zur AfD begründen. Die rechtsnationale Partei, ihre Positionen zu Migration und die rassistischen Übergriffe der vergangenen Jahre führen mithin zu einer teilweisen Distanzierung innerhalb der „Lebensschutz“-Bewegung, die sich der christlichen Nächstenliebe verschrieben hat. Die BVL-Vorsitzende Alexandra Linder betonte jedoch vor der Demonstration im vergangenen Jahr noch einmal, dass es das demokratische Recht Aller sei, am „Marsch für das Leben“ teilzunehmen, egal welcher Kirchen oder Parteien sie angehören.
In der Vergangenheit war es aus den Reihen der AfD vor allem Beatrix von Storch, die mit ihren Verein „Zivile Koalition e.V.“, teilweise in der ersten Reihe, an den Aufmärschen teilnahm. Die „Zivile Koalition“, der Beatrix von Storch zusammen mit ihrem Mann Sven vorsteht, kann als eine Art Lobbyorganisation rechtskonservativer Wertvorstellungen verstanden werden, die ihren Sitz mitten im Herzen des als linksliberal geltenden Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg hat. Neben der aktiven Unterstützung für den „Lebensschutz“ werden traditionelle Familienvorstellungen propagiert, rassistische Positionen zur Migrationspolitik sowie Homo- und Trans*feindlichkeit geteilt. Antifeminismus gehört zu den Grundüberzeugungen. Auch wenn Beatrix von Storch im vergangenen Jahr nicht in Berlin dabei war, gehört der Verein nach wie vor zu den wichtigsten Berliner Unterstützer*innen der „Lebensschutz“-Bewegung.
Zwar trat von Storch nie im Namen ihrer Partei auf, die AfD war jedoch sichtbar vor Ort. Die Vereinigung „Christen in der AfD“ (ChrAfD) ruft bereits seit 2015 zur Teilnahme an der Demonstration auf. Nicht verwunderlich, steht doch im Grundsatzprogramm der Partei, dass sie sich „für eine Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“ einsetze. Einziges bekanntes Gesicht 2018 war dabei Martin Hohmann, der für die Partei im Bundestag sitzt. Unter seinem Motto „Gott. Familie. Vaterland“ sieht er, wie auch die ChrAfD, den Aufmarsch nach wie vor als wichtiges Identifikations- und Agitationsfeld. Dass das ehemalige CDU-Mitglied als Antisemit gilt und wegen judenfeindlicher Aussagen 2003 seine damalige Partei verlassen musste, stellt für die AfD, die sich als einzige Partei sieht, die Juden*Jüdinnen in Deutschland schützt, kein Problem dar. Wie eng die Verknüpfung Hohmanns zur evangelikalen Bewegung ist, zeigte sich bereits 2001, als die Redaktion der „idea“, eine evangelikale Zeitschrift und eine der wichtigsten Unterstützerinnen des „Marsch für das Leben“, ihn zum Politiker des Jahres ernannte, weil er sich gegen eine „christlich-muslimische Verbrüderung“ und „falsche Toleranz“ aussprach.
Mit Ralf Löhnert war im vergangenen Jahr sogar ein Vertreter der extremen Rechten am „Lebensschutz“-Marsch beteiligt. Der Holocaust-Leugner und Teilnehmer mehrerer neonazistischer Demonstrationen war selbst Religionslehrer und Angestellter der Kirche. Dass auch unter Neonazis Antifeminismus und traditionelle Familien- und Geschlechtervorstellungen zu den Grundüberzeugungen gehören, ist bekannt; und angesichts der Aussagen der Organisator*innen Linder und Lohmann, wonach alle beim „Marsch für das Leben“ willkommen sind, ist auch deren Teilnahme nicht verwunderlich.
Mit dazu beigetragen haben sicherlich auch die von den „Lebensschützer*innen“ verwendeten Begriffe. Wiederholend werden Abtreibungen abwechselnd als Völkermord und Genozid bezeichnet, auch eine Gleichsetzung mit dem Holocaust ist keine Seltenheit. Hier ergeben sich verschiedene Anknüpfungspunkte mit der Neuen, aber auch mit der extremen Rechten, die den Geburtenrückgang unter nichtmigrantischen Deutschen als Gefahr für das deutsche Volk sehen.
Die „Junge Freiheit“ als Sprachrohr der Bewegung
Neben der scheinbar geringen Beteiligung neurechter Akteur*innen auf dem Marsch selber verhalten sich auch einschlägige Publikationen auffallend zurückhaltend zum Thema „Lebensschutz“. Eine Ausnahme bildet hier die Wochenzeitung „Junge Freiheit“.
Seit der Gründung der Zeitung in den 1980er Jahren entwickelte sie sich zu einem Leitblatt der Neuen Rechten, wenngleich sie sich selbst eher als konservatives Medium sieht. Die (Gast-) Autor*innen können aber zum größten Teil eben zu jener intellektuellen Rechten gezählt werden, was die jahrelange enge Zusammenarbeit mit Götz Kubitschek und seinem Institut für Staatspolitik (IfS) unterstreicht.
Seit der Frühphase der „Lebensschutz“-Bewegung begleitet die „Junge Freiheit“ diese publizistisch und dient deren Vertreter*innen als Sprachrohr. Mit Alexandra Linder, Claudia Kaminski, Johanna von Westphalen und Rainer Beckmann sind nur einige der Abtreibungsgegner*innen zu nennen, die regelmäßig mit Gastbeiträgen oder Interviews in der Wochenzeitung auftauchen. Zudem werden in nahezu jeder Ausgabe Schwangerschaftsabbrüche thematisiert und mit den verwandten Schwerpunkten in der „Jungen Freiheit“ verknüpft. Auch der „Marsch für das Leben“ selbst wird nahezu jährlich mit einer eigenen Reportage bedacht. Bei der mehrheitlich männlichen Autor*innenschaft zeigt sich in den Artikeln dabei deutlich eine Ablehnung feministischer Positionen bis hin zu misogynen Äußerungen zum Selbstbestimmungsrecht von Frauen*.
Andere bedeutende Zeitungen und Zeitschriften der Neuen Rechten halten sich mit einer Positionierung zur „Lebensschutz“-Bewegung auffallend zurück, wenngleich etwa das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer ebenfalls regelmäßig Artikel zu Schwangerschaftsabbrüchen und traditionellen Geschlechter- und Familienbildern veröffentlicht. Wie wichtig dies dort ist, zeigen als Beispiele die Sonderhefte „Feindbild Familie“ (2014) und „Deutsche Frauen“ (2019). Das Compact-Magazin versucht dabei das innerhalb der Rechten beliebte Thema des Volksaustauschs durch Geburtenabsturz und Überfremdung zu verknüpfen. Im Mai diesen Jahres nahm die Compact-Autorin Iris N. Masson in ihrem Artikel über Abtreibungsgegner*innen die „Lebensschutz“-Bewegung in Schutz und verteidigte deren Positionen als Bewahrer der deutschen Familie.
Eine besondere Rolle bei der Überschneidung von „Lebensschutz“- und neurechten Positionen spielt die Bibliothek des Konservatismus in Berlin-Charlottenburg. 2012 eröffnet und eng verzahnt mit der „Jungen Freiheit“, beherbergt sie seit September des gleichen Jahres auf Wunsch der Stiftung „Ja zu Leben“ auch die Sondersammlung „Lebensschutz“, die aus mehreren hundert Publikationen und Veröffentlichungen zum Thema besteht und als „Ort des Forschens und des akademischen Austausches geschaffen [wurde], an dem wissenschaftliche Studien zu den Themen der Lebensschutzbewegung entstehen können“, wie es auf der Website der Bibliothek heißt. Gleichzeitig dient die Einrichtung, die sich selbst als Denkfabrik der Intellektuellen Rechten sieht, als Veranstaltungsort für die „Lebensschutz“-Bewegung. Begleitveranstaltungen im Vorfeld für den „Marsch für das Leben“ finden hier regelmäßig statt. Prominente Gesichter, wie Hedwig von Beverfoerde oder Alexandra Linder sind häufige Gäste.
Trotz der zahlreichen Verknüpfungspunkte und Überschneidungen sowie personellen Verbindungen mit der Neuen Rechten, versuchen sich die Organisator*innen des „Marsch für das Leben“ von eindeutig politischen Debatten und Einordnungen, die sich abseits ihres Kernthemas bewegen, fernzuhalten. Obwohl die Inhalte des Marsches für neurechte Positionen anschlussfähig sind und zumindest ein Teil des Organisationskreises mit der Neuen Rechten sympathisiert, dominieren sie den Aufmarsch jedoch nicht. Für viele ist das Thema kein Teil ihrer Metapolitik und die Monothematik Abtreibung, die während der Demonstration im Mittelpunkt steht, ist für viele Akteur*innen nicht attraktiv. Eigene Inhalte können wegen des Dominanzanspruchs des BVL, der vermeiden möchte, die Unterstützung von CDU-Politiker*innen und Bischöfen zu verlieren, die regelmäßig Grußbotschaften an die Teilnehmenden senden, nicht offen gezeigt werden. Aufgrund der fehlenden Sichtbarkeit mussten sich die Beteiligten deshalb auch bislang nicht zu Verstrickungen zur (extremen) Rechten positionieren.
Es liegt an den emanzipatorischen und antifaschistischen Kräften, die jedes Jahr dagegen auf die Strasse gehen, nicht nur den Antifeminismus des Anlasses zu kritisieren, sondern auch die „Lebensschutz“-Bewegung an sich und deren christlich-fundamentalistisches Weltbild als reaktionär, rechts und menschenfeindlich anzugreifen.
Autonome Neuköllner Antifa