Statement gegen die Fehlbesetzung der gynäkologischen Fortbildung

Offener Brief an die Verantwortlichen des Online Kongress „18. Hamburger Update: Gynäkologie und Geburtshilfe“
Prof. Dr. med. Gerhard Gebauer
Hon.-Prof. Dr. med. Holger Maul
Dr. med. Thomas Gent

In dem Programm der Fachtagung „Lange Nacht der Gynäkologie und Geburtshilfe“ wird für den 29. April 2022 eine „Midnight-Lecture“ des ehemaligen Leiters des IfR (Institut für Rechtsmedizin) am Hamburger UKE (Universitätsklinikum Eppendorf) Prof. Klaus Püschel zum Thema sexualisierter Gewalt angekündigt. Hiermit fordern wir Sie als breites Bündnis von feministischen, medizinischen, aktivistischen, antirassistischen Gruppen und Personen auf, den Programmpunkt zu streichen.

Die Einladung Püschels zu einem gynäkologischen Fachtag ist vor dem Hintergrund seiner misogynen Äußerungen in Literatur und Medienöffentlichkeit inakzeptabel. In seinem Podcast „Dem Tod auf der Spur“, Folge „Vergewaltigung oder Falschbeschuldigung“ [1], äußert er sich wie folgt: „Ja klar. Aber – In Einzelfällen, können auch Frauen einen Mann durch falsche Beschuldigungen ewig in Verruf bringen.“, und setzt – ganz im Gegensatz zu den im vorigen Zitat erwähnten Einzelfällen – hinzu: „Auch das eine Erfahrung aus der Rechtsmedizin, die gar nicht so selten ist“(7:55). Im selben Podcast findet sich auch die folgende Aussage seiner Gesprächspartnerin, die er unwidersprochen stehen lässt: „Dabei steht wirklich viel auf dem Spiel, wenn die Anzeige im Raum steht. Glaubwürdigkeit, Renommé, wahrscheinlich die ganze Zukunft des Mannes… Was, wenn der Mann unschuldig im Gefängnis ist? So kann Sex auch von Seiten der Frau zum bösartigen Crime genutzt werden.“ Er ergänzt, dass „Sex and Crime“ ja auch der Titel seines neuen Buches sei. Diese Ausschnitte aus seinem Podcast verdeutlichen, dass Püschel sich dem Thema der sexualisierten Gewalt vor allem aus einer voyeuristischen, unwissenschaftlichen Perspektive nähert, welche Mythen und Vorurteile zum Thema verstärken, anstatt sich der strukturellen und alltäglichen Bedrohung vor allem für Frauen, nichtbinäre Personen und trans Personen konstruktiv zu widmen.

Auch wenn man sich die Zahlen zum Thema Vergewaltigungen in Deutschland genauer anschaut, scheint die Auswahl dieses Themas schier unerträglich.
Laut UN Woman haben mehr als 70 % der Frauen [7] in Krisensituationen geschlechtsspezifische Gewalt erlebt. Allein in Deutschland erlebt jede 7. Frau schwere sexualisierte Gewalt [2]. Gleichzeitig werden nur zwischen 5 % und 15 % der Vergewaltigungen in Deutschland überhaupt angezeigt [2], wobei die Verurteilungsquote laut Angaben des Bundesamts für Justiz stetig sinkt und 2016 bereits bei lediglich 8 % lag. Der extrem geringe Anteil von Vergewaltigungen, die zur Anzeige gebracht werden, ist u.a. auch auf die Angst von Betroffenen zurückzuführen, ihnen könnte nicht geglaubt werden. Diese Angst wird durch Äußerungen wie jene von Püschel noch verstärkt. Dabei wird das Bild der Realität völlig verzerrt und eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben: Während täglich Menschen geschlechterspezifische Gewalt erfahren und die allermeisten Vergewaltigungen straffrei bleiben, wird der Fokus stattdessen auf die statistisch gesehen völlig irrationale Angst von Männern gelenkt, sie könnten Opfer einer Falschbeschuldigung werden. Dabei wird aus Studien deutlich, dass das Problem der Falschbeschuldigungen überbewertet wird. Der Anteil dieser beträgt lediglich 3% und ist damit marginal [3]. Statt sich auf diese Studien zu beziehen, gibt Püschel gern seine „gefühlten“ eigenen Zahlen der Falschbeschuldigungen (30-50%) in Interviews an, ohne diese zu belegen [4]. Zudem behauptete er im Rahmen des Prozesses gegen Jörg Kachelmann vor Gericht, es gebe Institute, „die jede zweite Vergewaltigungsgeschichte als Erfindung einschätzten“ [5].

Betroffene sexualisierter Gewalt müssen sich in Hamburg an das IfR wenden, um dort die Spurensicherung für mögliche rechtliche Verfahren durchführen zu lassen. Gerade als Person, die diese Institution über 30 Jahre leitete, ist eine Kompetenz im Umgang mit Betroffenen unabdingbar – es ist unverantwortlich, aus dieser Position mit unbelegten Zahlen zu argumentieren und dabei massiv zur Unglaubwürdigmachung der Betroffenen beizutragen.

Diesen Mann zu einer „Midnight lecture“ mit dem ursprünglichen Titel „(Vorgetäuschte) Vergewaltigung“ einzuladen lässt tief blicken, nicht nur in Püschels eigenes Bild von Frauen und sein fehlendes Verständnis für das Schutzbedürfnis von Betroffenen nach dem Erleben einer sexualisierten Gewalttat, sondern auch in jenes der Veranstalter.
Mittlerweile wurde nach Bekanntwerden einer Koordination von Protest in Hamburg und einer Protestnote einer ärztlichen Organisation sowie weiterem aufkommenden Widerstand dieses Netzwerkes gegen die Veranstaltung der Titel zwar in „Vergewaltigung – Spurensicherung und Dokumentation des Verletzungsmusters“ geändert, jedoch lassen Püschels Hintergrund, seine Bücher und vergangenen Aussagen zum Thema Vergewaltigung in Presse-Interviews sowie in seinem Podcast vermuten, dass der Fokus inhaltlich weiterhin auf Falschbeschuldigungen liegt und damit ein Narrativ der Täter-Opfer-Umkehr gefördert wird. Ausgerechnet in diesen Zeiten, in denen sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen endlich öffentlich breiter besprochen wird und viele Personen in Deutschland Schutz suchen, die von Vergewaltigung in Kriegsgebieten betroffen sind, ist diese programmatische Setzung besonders erschütternd.

Klaus Püschel ist auch aus weiteren Gründen ein inakzeptabler Referent. 2001 wurde sein Institut für den gewaltsamen Einsatz von Brechmitteln bekannt, bei dem Betroffene von rassistischen Polizeikontrollen zwangsweise Brechmittel verabreicht bekamen. 2001 kam bei dieser Prozedur Achidi John ums Leben. Obwohl die Ärztekammer und auch 5 Jahre später der Europäische Gerichtshof jene Einsätze als Verstoß gegen das Verbot der Folter und als menschenunwürdige Behandlung erklärten, wurden „freiwillige“ Brechmitteleinsätze noch bis November 2020 in Hamburg durchgeführt. Ein Ende dieser Folterpraxis gab es erst, nachdem Püschel das Institut verließ. Auch war Püschel jahrelang für die wissenschaftlich höchst umstrittenen Altersfeststellungen bei papierlosen Jugendlichen verantwortlich und führte sie auch selbst durch, was dazu führte, dass diese Jugendlichen u.U. als vermeintlich Volljährige abgeschoben wurden und ihnen Schutz und Asylrecht verwehrt wurden.
Außerdem war Püschel im November 2021 eingeladen, eine Lesung bei der schlagenden Verbindung „Landmannschaft Mecklenburgia Rostock“(LMR) zu halten, die er erst annahm – und dann später unter politischem Druck wieder absagte [6]. Bei der LMR hatten zuvor bereits Rechtsextreme wie Götz Kubitschek referiert. Püschel schreckt also auch vor Verbindungen zur extremen Rechten nicht zurück.

Trotz aller Kritik hat Püschel keinerlei Willen zur Auseinandersetzung der durch ihn vertretenen Brechmittelpraxis gezeigt. Außerdem trug er als Person der Öffentlichkeit bereits mehrfach dazu bei, nicht nur sexualisierte Gewalt zu verharmlosen, sondern auch speziell im Bezug auf das Thema Vergewaltigung den Diskurs der Falschbeschuldigungen mit seinen Aussagen zu nähren. Als solidarisches Bündnis sprechen wir uns ausdrücklich dagegen aus, Personen wie Püschel eine Bühne, Plattform oder Ressourcen zu geben! Stattdessen wäre es im Rahmen eines gynäkologischen Fachtages wünschenswert, eine Fortbildung im Programm zu finden, die sich mit einem empathischen Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt beschäftigt und praktizierenden Gynäkolog*innen Indizien und gute Spurensicherung vermittelt, um zukünftig Betroffene in der Situation angemessen versorgen zu können.

Die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskreditierung von Personen mit Erfahrungen sexualisierter Gewalt führt zu einer Isolation der Betroffenen, nährt ein gesellschaftliches Klima der Angst und schützt Täter. So wird Vergewaltigung de-thematisiert und ein Fortlaufen der systematischen geschlechterspezifischen Gewalt massiv befördert.
Wir brauchen gerade im Feld der Gynäkologie eine breitere Thematisierung und Sensibilisierung für die Bedürfnisse und medizinisch kompetente Behandlung Betroffener.

Keine Bühne für Püschel! Glaubt den Betroffenen!
Feministisches Bündnis gegen sexualisierte Gewalt und ihre Vertuscher samt Unterstützer*innen

Audioversion und alle UNterstützer*innen findet ihr hier: https://gegensexualisiertegewalt.noblogs.org/