Queer-feministische Überlegungen zu Leihschwangerschaft und Eizelltransfer
Die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ legt am 15.4.2024 ihren Bericht vor. Wir begrüßen die Empfehlung zur Entkriminalisierung von Abtreibungen, sehen die Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft aber kritisch.
Die Entkriminalisierung von Abtreibungen ist längst überfällig. Jede schwangere Person sollte selbst entscheiden dürfen, ob sie die Schwangerschaft austrägt, oder nicht. Wir fordern einen diskriminierungsfreien Zugang zu reproduktiven Leistungen – und zu allen Leistungen, die zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig sind. Das wären zum Beispiel eine finanzielle Grundsicherung, die ein sorgenfreies Leben ermöglicht, eine verlässliche Kinderbetreuung – oder eben Abtreibungen.
Doch gibt es das Recht auf ein (eigenes) Kind? Reproduktionstechnologien wie Eizelltransfer und Leihschwangerschaft ermöglichen Paaren und anderen Familienkonstellationen, die selbst keine Schwangerschaft austragen können oder wollen, Kinder mit einem Anteil eigenen Erbgutes. Diese Reproduktionstechnologien sind eingebettet in gesellschaftliche Machtverhältnisse. Aktuell fährt die Ampel-Koalition einen liberalen Kurs, der auf eine Legalisierung von sowohl Leihschwangerschaft als auch Eizelltransfer in Deutschland hinaus laufen könnte.
Queer-feministische Cyborg-Utopie oder patriarchal-kapitalistische Dystopie?
Reduziert auf das biologisch-medizinische Happening bei einer Leihschwangerschaft mit einer Eizelle aus dem Körper einer Person, welche nicht die Schwangerschaft austragen wird, und einem Spermium, mutet das ganze schon feminist-cyborg-mäßig an und entkoppelt Schwangerschaft von der konservativen und biologistischen Norm der „Mann-und-Frau-Zweierangelegenheit“. So betrachtet kann die Methode der Leihschwangerschaft also feministische Cyborg-Phantasien von der Auflösung des Zusammenhangs von genetischem Erbgut, Gebärmutter und Elternschaft wecken.
In unserem Streben nach der Abschaffung dieser Norm wäre das ein Schritt in Richtung von mehr Vorstellungskraft in Bezug auf alternative Familienkonstellationen mit z.B. mehr als zwei Eltern. So könnte ein Kind sogar drei biologische Erzeuger*innen haben, nämlich die Person, die die Eizelle gibt, die Person, die das Spermium gibt und die Person, die die Schwangerschaft austrägt. Allerdings steht dahinter die Vorstellung, dass die biologischen Eltern irgendwie „wahrere“ Eltern seien, als die Elternteile, die keinen Anteil ihres Erbguts oder ihre Gebärmutter dafür zur Verfügung gestellt haben. Wir denken: Es braucht keine Reproduktionsmedizin, um die heteronormative Kleinfamilienlogik aufzubrechen.
In der Realität nimmt Leihschwangerschaft eher eine andere Rolle und Funktion ein. Leihschwangerschaft bedeutet ja gerade, dass die schwangere Person am Ende nicht Elternteil wird. Schwangerschaft geht jedoch mit gesundheitlichen Risiken einher, insbesondere wenn reproduktionsmedizinische Technologien genutzt werden, wie z.B. hormonelles Priming vor der Eizellentnahme. Wenn diese Risiken dazu noch erhöht werden, um aus altruistischem oder finanziellem Antrieb andere in der Umsetzung ihres Kinderwunsches zu unterstützen, sollte genau hingeschaut werden, wie für die Risiken aufgekommen wird und welche Entschädigungen die Personen erhalten, die die Schwangerschaft austragen und / oder Eizelle geben. Ein solcher Austausch auf freiwilliger Basis und unter Bedingungen, die ohne Zwang verhandelt wurden, stellte für einige Menschen vielleicht eine gute Option dar. Unsere Kritik zielt auf folgende Punkte ab: Quasi nie findet dieser Deal nur zwischen den werdenden Eltern und der schwangeren und eizellgebenden Personen statt. Da man insbesondere bei einer Kombination der Leihschwangerschaft mit der Eizellspende, wie es häufig geschieht, auf reproduktionsmedizinische Technologien angewiesen ist, gibt es immer noch eine dritte Partei und das sind die Unternehmen der Reproduktionsmedizin. Wie wir das auch aus anderen Bereichen des Gesundheitssystems kennen, sind diese leider kein Stück uneigennützig sondern profitorientiert. Jedes Unternehmen der Reproduktionsmedizin wird einen finanziellen Nutzen daraus ziehen wollen, dass eine Person mit ihrem Körper diese Dienstleistung anbietet. Das muss klar als ausbeuterisch benannt werden, es funktioniert entlang der gleichen kapitalistischen Logiken, von denen die Gesellschaft und unser Gesundheitssystem nur so triefen. Das gilt auch für den Fall der altruistischen Leihschwangerschaft, bei der die Person, die das größte Risiko trägt, nichts verdient, während die Reproduktionsindustrie Profit macht.
Gute Chancen für die „Reichen und Schönen“
Wenn wir Leihschwangerschaft als Chance verstehen wollen, dann als Chance für nur sehr wenige. Nämlich wohlhabende Menschen, die sich das Verfahren leisten können.
Weiterhin gäbe es vermutlich bei einer Einführung von Leihschwangerschaft neben den hohen Kosten noch weitere Hürden, welche den Zugang dazu erschweren – insbesondere für marginalisierte Wunscheltern, die z.B. auch in Adoptionsprozessen immer schlechtere Karten haben als ein wohlhabendes Hetero-Ehepaar, das sich wegen unerfüllten Kinderwunschs bei Unfruchtbarkeit Unterstützung suchend an das Gesundheitssystem wendet. Wir denken hier zum Beispiel an Menschen, denen aufgrund einer Behinderung abgesprochen wird, ein gutes Elternteil sein zu können.
Wir sprechen wir uns klar dagegen aus, dass Leihschwangerschaft vollkommen unreguliert auf dem kapitalistischen Markt auftaucht. Wenn sie legalisiert werden sollte, sehen wir die Gefahr, dass lose Regelungen zu genetischen Tests an Eizelle und Spermium oder dem Embryo ableistische Selektionsmechanismen weiter verstärken. Auch Leihschwangerschaft untersteht ableistischen, normativen und neoliberalen Vorstellungen von Körper. Normative Vorstellungen von Schönheit und Perfektheit und die damit verbundene Abwertung können hier ausgelebt werden.
Nicht die Freiheit, die wir meinen
Es geht uns in dieser Kritik nicht darum, die individuelle Entscheidung für eine Leihschwangerschaft (sowohl der Wunscheltern als auch der austragenden Person) anzuprangern, aber wir müssen uns anschauen, unter welchen Bedingungen dies stattfindet und wer diese Bedingungen vorgibt. Vorschläge für faire Rahmenbedingungen sollten dafür nicht von den potenziellen Eltern mit Kinderwunsch kommen und noch weniger von den reproduktionsmedizinischen Unternehmen.
Wir grenzen uns von christlich-konservativen und rechten Argumentation gegen Leihschwangerschaft ab, die die Debatte nutzen um Queerfeindlichkeit weiter zu verbreiten. Weitere problematische Argumentationen sind z.B. solche, bei denen Invitro-Fertilisation als „Massenmord an vielen potentiellen kleinen Lebewesen“ beschrieben wird. Das weisen wir entschieden zurück!
Wir finden es höchst fragwürdig, dass die Ampelkoalition uns die Legalisierung von Leihschwangerschaft und Einzelltransfer als eine Errungenschaft für die Selbstbestimmung und für queere Familienmodelle verkaufen will.
Bündnis „What The Fuck?!“ im April 2024