Investigative Recherche: Kontaktaufnahme mit vermeintlichem Infoportal für trans Jugendliche

keinmaedchen.de verbreitet gezielt Falschinformationen und missbraucht die Unsicherheit junger Menschen

Mit dem falschen Informationsportal keinmaedchen.de haben AkteurInnen aus dem Demo-für-Alle-Umfeld eine Onlinepräsenz an den Start gebracht, deren Strategie zutiefst perfide und brandgefährlich ist. Wir haben in einer umfassenden Recherche das Portal beobachtet und von April-August 2023 das vermeintliche Beratungsangebot getestet. Bei keinmaedchen handelt es sich um ein Portal, das sich gezielt an trans Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern richtet. Von der Aufmachung her erweckt es den Anschein einer Aufklärungsseite bzw. eines Unterstützungsangebotes, tatsächlich verbirgt sich dahinter transfeindliche Ideologie und der strategische Einsatz von Desinformationen. Die MacherInnen nutzen Unsicherheit und Hilfebedarfe junger Menschen und ihrer Angehörigen aus.

Im Impressum der Internetseite steht der Trägerverein Ehe Leben Familie e.V. mit Sitz in Magdeburg, der unter anderem auch hinter der queerfeindlichen Initiative Demo-für-Alle steht, die vor allem mit ihrem Engagement gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Bildungsplänen aufgefallen ist. Der Verein betreibt darüber hinaus weitere Onlineauftritte und mobilisiert dort gegen Eheöffnung, sexuelle Bildung und Transrechte.

Transfeindliche Diskriminierung und Gewalt haben massiv zugenommen. Im Zuge der Debatten über das Selbstbestimmungsgesetz haben sich rechte, konservative und queerfeindliche AkteurInnen sowie vermeintliche Frauenrechtlerinnen zusammengeschlossen. Ihr Ziel war den Diskurs in eine transfeindliche Richtung zu lenken und die Bühne des Bundestags dafür zu nutzen.

Feministische Gegenwehr

Als queer-feministisches und antifaschistisches Bündnis ist es uns wichtig, diese Aktivitäten in den Blick zu nehmen und zu skandalisieren. In der gegenwärtigen transfeindlichen öffentlichen Stimmung beziehen wir als Feminist*innen klar Position – sowohl gegenüber antifeministischen Tendenzen als auch gegenüber jenen AkteurInnen, die im Namen des Feminismus andere ausgrenzen und ihre Rechte beschneiden wollen.

Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit der selbsternannten Lebensschutzbewegung, ihrer Ideologie, Netzwerken und Strategien. Bei keinmaedchen finden sich deutliche Überschneidungen auf personeller und strategischer Ebene.
Hedwig von Beverfoerde, die im Impressum von keinmaedchen auftaucht, hat nicht nur die queerfeindliche „Demo für Alle“ mit initiiert, sondern trat auch jahrelang als Rednerin beim „Marsch für das Leben“ auf, ist über ihre Beteiligung beim deutschen Ableger der Lobbyorganisation „One of Us“ und der Stiftung „Ja zum Leben“ zumindest indirekt mit der falschen Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle „pro femina“ verbunden.

Trans- und Queerfeindlichkeit stellen für AkteurInnen der (extremen) Rechten einen wichtigen Türöffner weit in den Mainstream hinein dar. Gleichzeitig geht mit der medialen Hetze eine Zunahme an Gewalttaten im Alltag einher. Dieser Entwicklung treten wir entschlossen entgegen. Mit Recherchen, Aufklärungsarbeit und Aktionen.

Leider gut gemacht: Internetauftritt von keinmaedchen

Auf keinmaedchen.de landen wahrscheinlich eher junge Menschen, deren Umfeld keinen sicheren Ort für ihre Fragen bietet und die noch keinen Anschluss an Communities gefunden haben. Die Strategie hinter der Website fußt eben auch auf gesellschaftlichem Stigma sowie Ängsten und Schamgefühlen der Ratsuchenden.

Optisch ansprechend und zielgruppengerecht gestaltet, unauffällig in der Bildsprache, gemäßigt im Ton – so sieht die Webseite auf den ersten Blick aus. Ein modernes Design, Stockfotos von durchaus queer-kodierten jungen Menschen – die Parallelen zu echten Jugendportalen sind frappierend. Fragen dominieren – das suggeriert den Besucher*innen eine offene Haltung und gibt ihnen das Gefühl, dort auch mit ihren Zweifeln gut aufgehoben zu sein. Gleichzeitig sind die Fragen so gewählt, dass sie möglichen Suchanfragen entsprechen und sorgen somit für eine Platzierung ganz weit oben in den Ergebnissen – weit vor vielen seriösen Beratungsangeboten. Wirkliche Antworten auf die Fragen „Bin ich trans?“, „Kann ich mein Geschlecht im Ausweis ändern lassen?“ oder „Was heißt Geschlechtsdysphorie?“ werden die jungen Menschen nicht finden .

Je weiter man sich auf den jeweiligen Seiten durchklickt, desto deutlicher wird die Sprache. Will man auf der Startseite noch einladend wirken und niemanden verschrecken, wechselt die Methode später recht schnell zu Panikmache durch Fehlinformationen. Keinmaedchen schreibt von Pubertätsblockern als „frühe[m] und fatale[m] Weichensteller“, bauscht gesundheitliche Risiken auf und verlinkt unter anderem zum Paper eines bekannten transfeindlichen Forschers.

Die zentrale Message: Du bist nicht trans

Mal mehr, mal weniger versteckt finden sich bei keinmaedchen bekannte Botschaften transfeindlicher Ideologie. Tatsächlich richtet sich die Seite nur an trans Jungen und eventuell noch nicht-binäre Personen, denen bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde. Das entspricht dem gegenwärtigen „Gender Critical“-Diskurs, wonach trans Jungen eigentlich verwirrte Mädchen seien, die es vor der „Transideologie“ zu retten gelte. Transweiblichkeit wird als Bedrohung konstruiert wird, vor der man cis Frauen (am besten in Saunen und öffentlichen Toiletten) schützen müsste.

Zwar scheint keinmaedchen auf den ersten Blick die Gefühle und Fragen der Jugendlichen ernstzunehmen, die eigentliche Botschaft ist aber: Du bist nicht trans, trans gibt es gar nicht. Das zeigt sich in Aussagen wie „Wenn Du alle äußeren Botschaften einmal ausblendest – auch die von den trans-Seiten […] und ganz im Stillen in Dich hineinhorchst, sagt Dir Dein Gefühl: Ich will kein Mädchen mehr sein. Jedenfalls kein solches, wie es jeder von Dir erwartet.“ oder „Wenn Du ganz ehrlich zu Dir bist, hat Dir Dein Gefühl nie gesagt: Ich bin ein Junge, ich bin schon immer ein Junge gewesen.“.

Der Seitenhieb auf trans Spaces im Internet ist nicht zufällig, keinmaedchen verbreitet auch den Kampfbegriff „ROGD“ (Rapid Onset Gender Dysphoria). Dieser wurde von der britischen „Gender Critical“ Bewegung sehr erfolgreich propagiert. Es handelt sich dabei nicht, wie der Name vermuten ließe, um eine echte medizinische Diagnose. ROGD ist erfunden und nichts anderes als die Mär von der queeren Rekrutierung in neuem und salonfähigerem Gewand. VertreterInnen dieses Konzepts gehen von einer Art sozialer Ansteckung aus. Die Schlussfolgerung lautet, Jugendliche müssten von queeren Menschen und Einflüssen ferngehalten werden. Damit verkehren sie die positiven Effekte verbesserter Sichtbarkeit und der Chance, früher Ausdrucksmöglichkeiten für das eigen Erleben zu haben, in etwas vermeintlich Gefährliches.

Eine weitere Strategie, die in Großbritannien leider sehr erfolgreich war, ist der Fokus auf Pubertätsblocker und damit verbundene medizinische Fehlinformationen und Panikmache. Nebenwirkungen werden aufgebauscht, Studienergebnisse ohne Zahlenverhältnisse wiedergegeben, unerwünschte Nebeneffekte nicht ins Verhältnis zur Häufigkeit bei anderen Medikationen gestellt.

Diese Mischung aus verständnisvoller Ansprache und Desinformation ist gefährlich: die Seite adressiert gezieltJugendliche, die verunsichert, vielleicht sogar verängstigt sind. Sie suchen nach Rat und Unterstützung, stattdessen finden sie „Informationen“, die ihnen noch mehr Angst machen. Zumindest implizit angesprochen sind auch Eltern von jungen trans Personen. Damit versucht das Portal, eine mögliche Unterstützung dieser Kinder und Jugendlichen durch ihre Bezugspersonen zu unterbinden. Das ist grausam.

Was passiert, wenn sich Ratsuchende tatsächlich an keinmaedchen wenden?

Nach den verheerenden Botschaften auf der Website haben wir uns gefragt: Womit sehen sich Menschen konfrontiert, die tatsächlich bei keinmaedchen Unterstützung suchen? Getreu der Ankündigung „Du brauchst Hilfe? Wir sind für dich da!“ haben wir uns im April 2023 als der 15-jährige Kai über das Kontaktformular an keinmaedchen gewandt. Geantwortet hat uns ein Mann namens Martin, mit dem es bis August mehrere Mailwechsel gab. Daraus sind schließlich zwei Telefonate hervorgegangen – eines mit Kai und eines mit seiner Mutter Silke.

„Liebe Kai/Lara“ – Mailkontakt mit keinmaedchen

Im Erstkontakt zeigt sich Kai verunsichert hinsichtlich seines Transseins, er berichtet von Stress in der Schule, fehlenden Ansprechpersonen und auch davon, dass manche Infos auf der Webseite keinmaedchen ihm Angst machen würden. Die Mails unterschreibt er noch mit „Lara/Kai“. In der Antwort-Mail stellt Martin sich nicht weiter vor, aber stellt Unterstützung in Aussicht: „Sehr gern möchten wir Dir helfen! Das klappt am besten, wenn Du uns kurz beschreibst, in was für einer Situation Du Dich befindest. Je besser wir verstehen, was Dich belastet, umso effektiver können wir Dich unterstützen und uns auf ein Gespräch mit Dir vorbereiten.“. Durch Formulierungen wie diese, Fragen nach der familiären Situation, dem eigenen Empfinden, Belastungen in der Schule u.ä. erweckt Martin den Anschein, es handele sich um ein Beratungssetting. Zwar sagt er an keiner Stelle explizit, dass es sich um ein Beratungsangebot handele, er muss aber davon ausgehen, dass dies für sein (seinem Informationsstand nach) minderjähriges Gegenüber unklar ist. Kais spätere Bitte, seinen neuen Namen zu verwenden, umgeht Martin in den Folgemails, stattdessen verwendet er Formulierungen wie „Hallo“ und „Guten Morgen“.

Recht bald äußert Kai den Wunsch nach einem persönlichen Gespräch, Martin bietet daraufhin ein Telefonat an. Im weiteren Verlauf fragt er den minderjährigen Kai mehrfach nach seiner Telefonnummer – dies wäre für eine seriös arbeitende Beratungsstelle ein undenkbares Vorgehen, es widerspricht nicht nur dem besonders sensiblen Umgang mit Daten Minderjähriger, sondern ist in üblichen Kinderschutzkonzepten auch deswegen verboten, weil solche Kontakte anfällig sind für Machtmissbrauch.

Telefonat 1: Kai – Martin

Nach mehrmaligen Versuchen fand Ende Juli schließlich ein Telefonat zwischen Kai und Martin statt. Es dauerte über 40 Minuten. Während des Telefonats haben wir Gesprächsnotizen angefertigt, einige Passagen wurden wortgetreu aufgeschrieben. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die unserer Ansicht nach wichtigsten Punkte.
Kai äußerte, dass er große Angst vor der Reaktion seiner Eltern habe und sich nicht traue, das Thema anzusprechen. Auf Nachfrage führte er aus, dass seine Eltern sich in der Vergangenheit bereits transfeindlich geäußert hatten. Martin hakte daraufhin nach, wie es denn käme, dass seine Eltern mit ihm über „solche Themen“ sprächen, ob sie etwa einen „Verdacht“ hätten. Diese Wortwahl suggeriert, Kai habe tatsächlich etwas verwerfliches getan, etwas zu verbergen. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass Martin der Ansicht ist, dass Kinder und Jugendliche von diesem Themenfeld ferngehalten werden sollten, denn: „normalerweise spricht man ja nicht jetzt über das Thema Transgender so als Eltern vor nem Kind.“.

Martin ruft auch den aus der „Gender Critical“ Bewegung bekannten Talking Point auf, dass Therapeut*innen angeblich viel zu schnell und ohne ausführliches Gespräch Kinder und Jugendliche in ihrer Geschlechtsidentität bestätigen würden: „ich weiß nicht, ob dir jemand hilft, der einfach nur sagt: >ja, aha, okay, dann ist das so bei dir, dann herzlich willkommen auf der anderen Seite< […]. Ich weiß nicht, ob das so das ist, was du dir wünschst. Wenn ich dich richtig verstehe, ist das jemand, mit dem du mal auch länger reden kannst. Also jemanden, der dir ausführlich zuhört und wo man mal wirklich so alles auf den Tisch packen kann.“ Im Nachgang wird er Kai per Mail eine Therapeutin empfehlen, die vor allem Körpertherapien anbietet, die sich an Menschen richtet „die ihren Körper ablehnen oder denen das Bewusstsein für ihren eigenen Körper fehlt“.

Martin beklagt, vor 30 Jahren habe es diese „vielen tausend Fälle von Mädchen, die Jungs werden wollten, noch nicht“ gegeben. Er wolle Kais Gefühle nicht in Frage stellen, aber die Frage aufwerfen, woher dieses Gefühl komme. Diese mixed message – Ich sehe, dich, ich höre dich, aber… – da ist ganz fatal für einen jungen Menschen in einer so verunsichernden Lebenssituation. Gleichzeitig ist das ein gängiger rechter Talking Point, sich als diejenigen zu gerieren, die sich TRAUEN, Fragen zu stellen, während alle anderen die Dinge unhinterfragt hinnähmen. In der Aussage steckt aber auch wieder die Fantasie der sozialen Ansteckung, „ROGD“ wird hier zwar nicht explizit erwähnt, ist aber die dahinter liegende Referenz.

Besonders problematisch sind Martins Ausführungen zu Pubertätsblockern. Trotz der relativ guten Datenlage stellt er diese als experimentell dar: diese seien „wie ein Riesentest, wie ne Riesentestreihe an Kindern, die einfach mal so gemacht wird“. Zudem behauptet Martin, Pubertätsblocker würden „in Amerika“ zur „Kastration“ von pädosexuellen Sexualstraftätern angewandt, um „ihren Sexualtrieb zu hemmen“. So wirr diese Äußerung erscheint, wenn man sich eingehender mit dem Thema beschäftigt hat – auf einen jungen Menschen muss dies einfach nur beängstigend wirken. Gleichzeitig rück Martin trans Menschen damit zumindest implizit in die Nähe von Pädosexualität, eine gängige Diskursstrategie queerfeindlicher AkteurInnen.

Gegen Ende macht Martin Kai noch einen Vorschlag: er solle in Ruhe Zeit mit seinen Eltern verbringen und „mal fragen, wie das so war, als du ein kleines Mädchen warst“, so könne Kai viel über sich herausfinden. Dieser absurde Vorschlag knüpft letztlich an das christlich-konservative Bild der Kleinfamilie als wichtigster Bezugsrahmen und Lösung für alle Probleme an.

Auf Kais Nachfrage, ob Martin bzw. keinmaedchen auch Kontakt zu anderen trans Personen hätten, erklärt dieser, dass sich das Angebot vor allem an Mädchen richte, da zum Großteil „Mädchen betroffen“ seien. Allerdings würden sich vor allem auch Eltern an keinmaedchen wenden. Martin macht in diesem Zuge Kai ein schlechtes Gewissen, dass seine Eltern sich mit einem etwaigen Coming Out schlecht fühlen könnten: „Ich glaube, du kannst das ja auch nachvollziehen, wenn du dir vorstellst, wie es deinen Eltern geht, wenn du ihnen das sagst. Und vielen Eltern gehts wirklich nicht gut damit und die wenden sich dann auch an uns.“

Telefonat 2: Silke – Martin

Um herauszufinden, wie sich keinmaedchen im Kontakt mit Eltern gibt, etablieren wir eine Elternfigur. Kai schreibt in einer weiteren Email, dass er sich nun getraut habe, mit seiner Mutter zu sprechen und fragt nach, ob Martin sich vorstellen könne, mal mit ihr zu reden. Anfang August folgt schließlich ein zweites Telefonat mit Kais Mutter, die wir Silke genannt haben. Silkes Auftreten ist ambivalent, sie macht sich Sorgen um ihr Kind und berichtet, sich „mit dem Thema“ nicht auszukennen, ist verunsichert und akzeptiert Martin als vermeintlichen Experten.
Im Gespräch mit Silke zeigt sich Martin weniger zurückhaltend als bei Kai, er gibt konkrete Handlungsempfehlungen, und seine ablehnende Haltung tritt deutlicher hervor. Die Themen wiederholen sich, sind aber teilweise zugespitzter.

Auch hier ist Martins Haltung, dass Kai in Wirklichkeit nicht trans sei, sondern andere „seelische Probleme“ habe. Er baut erneut das Schreckgespenst von Therapeut*innen auf, die angeblich zu schnell eine Geschlechtsdysphorie diagnostizieren und empfiehlt abermals die Therapeutin, die er bereits Kai per Mail genannt hatte und beschreibt den Ansatz wie folgt: „Das geht so in Richtung, dass man sich versöhnt mit seinem Körper.“ Sollte die Therapeutin tatsächlich einen Ansatz verfolgen, bei dem sie versucht, Kai sein Transsein auszureden, macht sie sich damit strafbar – Konversionstherapie bei Minderjährigen ist in Deutschland seit 2021 (endlich) verboten.

Martin ist bemüht, Kais Empfindungen auf andere psychische Probleme zu schieben, man müsse schauen, woran das liegt, in der Pubertät befände man sich im Hormonchaos und könne nicht klar denken. Martin betont immer wieder, Kai habe Probleme mit Selbstwert und Körperwahrnehmung.

Besonders erschreckend: Martin baut mit einem Magersuchts-Vergleich ein extrem starkes Bild auf, das anschlussfähig ist an Bekanntes und in der Mutter sehr wahrscheinlich starke Sorgen hervorruft. Der Vergleich ist abstrus, wirkt aber unter Umständen auf Menschen, die sich noch nicht weiter mit der Thematik auseinandergesetzt haben, zunächst einleuchtend: „Wenn man jetzt n Mädchen hat, das ist jetzt, das kann man ganz gut vergleichen eigentlich, die ist stark magersüchtig, ja? Und die steht vorm Spiegel, ist zaundürr und sagt, sie ist viel zu dick. Da würde man ja diesem Mädchen auch nicht sagen: Okay, dann gehen wir jetzt zum Arzt und du bekommst Tabletten, damit du abnehmen kannst.“. Er pathologisiert damit Transsein massiv und versucht, eine annehmende und unterstützende Haltung von Bezugspersonen und Therapeut*innen als etwas Negatives darzustellen. Dies setzt er mit drastischen Ausführungen zu Pubertätsblockern und zur Einnahme von Testosteron fort. Er behauptet, es gebe keine Grundlagenforschung und betont mehrfach, dass dadurch die Fruchtbarkeit gefährdet würde. Hier scheint sehr klar durch, dass eine christlich-fundamentalistische Ideologie dahinter steht, die die heterosexuelle Kleinfamilie und die Fortpflanzungsfähigkeit bedroht sieht. Martin beschreibt Pubertätsblocker als eine Art Einstiegsdroge: „Also wenn man jetzt solche Pubertätsblocker nimmt, zeigen die Studien, also die Beobachtungen der Ärzte, die das bisher schon angewandt haben, […], dass fast alle weiter in diesen Konflikt reinrutschen. Also die vertiefen eigentlich diese Geschlechtsdysphorie und wer Pubertätsblocker nimmt will eigentlich den Weg der Medizin weitergehen und danach ein gegengeschlechtliches Hormon und auch die Amputation der Brüste, die Amputation der Gebärmutter und solche Sachen.“ Würden Ärzt*innen sich hingegen mit der Verschreibung von Hormonblockern zurückhalten, würden sich fast alle dafür entscheiden, wieder als Frau zu leben. Für diese Einschätzung hat er nicht nur keinen Beleg, es lässt auch völlig außer Acht, dass die in Studien am häufigsten für Detransitionen genannten Gründe fehlende Unterstützung im Umfeld und Stigmatisierung sind.

Statt ihr Kind anzunehmen, rät Martin Silke dazu, Kai zu misgendern, sonst würde sie ihn in der Annahme bestärken, dass er kein richtiges Mädchen ist: „Ich möchte ihr das Signal geben, dass es da auch Erwachsene gibt, die davon überzeugt sind, dass sie immer ein richtiges Mädchen war und immer ein richtiges Mädchen beziehungsweise eine richtige Frau sein wird. Das ist auch so die Überzeugung unserer Arbeit.“.
Über die eigene Arbeit und den dahinterstehenden Verein erzählt Martin erst auf Nachfrage von Silke. Seine Antwort ist aber dennoch sehr aufschlussreich. Ehe Leben Familie e.V. behandele „Themen rund um Familie, Kinder, Beziehungen“ und sei „mehr politisch unterwegs“. Tatsächlich fragt er im Gespräch mehrfach nach Silkes Ehestatus mit Kais Vater, Geschwisterkindern, Familienaktivitäten – die Kleinfamilie als Heilmittel für alles.
Mit keinmaedchen würden sie sich nun zum ersten Mal direkt an Betroffene wenden. Er behauptet, es gebe ein Massenphänomen von Kindern, die „plötzlich“ entdecken, dass sie trans sind und vermutet dahinter den Einfluss sozialer Medien: „Also jedes Mädchen, das glaubt, sie ist kein richtiges Mädchen, bekommt im Internet die Botschaft fast immer nur, dass sie Recht hat mit ihrer Einschätzung und wird bestätigt in ihrem Selbstbild, kein richtiges Mädchen zu sein.“. Das ginge ihnen zu schnell, „echte“ Geschlechtsdysphorie gebe es zwar vielleicht, sei aber unglaublich selten. Martin stellt es dar, als würde keinmaedchen ein wichtiges Gegengewicht zu einseitiger Information sein, gegen eine angebliche Übermacht, um jungen Menschen zu helfen, „dass sie eben nicht diesen ganz schwierigen und auch gesundheitlich riskanten Weg dieser Transgender-Idee verfolgen“.
Mit der Darstellung von trans Repräsentation als gefährlich und der unterschwelligen Idee sozialer Ansteckung, gibt er der Mutter mit auf den Weg: Andere trans Menschen sind ein schlechter Einfluss für dein Kind, diese Kontakte sind gefährlich. Er verbaut damit vielleicht über den Umweg der Mutter den Zugang zu Community, Verständnis und Wertschätzung, die besonders in der gegenwärtigen transfeindlichen Stimmung so wichtig wären.
Was jetzt wirklich wichtig wäre, sei „Qualitätszeit“ mit der Familie. Zumindest impliziert ist, dass soziale Isolation von Kontakten jenseits der Familie hilfreich sei: „Und gerade jetzt, wenn Schule und Einflüsse von Gleichaltrigen mal durch die Ferien günstigerweise bisschen außen vor sind, dass man da eben wieder mehr so nen Bezug zur Familie entwickelt“.
Auf Silkes Bitte nach der Empfehlung von Anlaufstellen lässt Martin sich ihre Email-Adresse geben und schickt recht bald eine Liste mit Links, darunter Gruppierungen wie „Parents of ROGD Kids“, oder transgendertrend.com, die Vorbild für Seiten wie keinmaedchen sind und vor einer vermeintlichen Gefahr durch „Transaktivisten“ für Kinder warnen oder die Elternbroschüre „Wege aus dem Transgenderkult“ des transfeindlichen Zusammenschlusses „Lasst Frauen sprechen“. Zum Thema Pubertätsblocker verweist er nochmal auf die eigene Internetseite. Abschließend gibt er Kais Mutter noch auf den Weg: „Was bedeutet es, Lara ernst zu nehmen und sie mit all ihren Gefühlen anzunehmen? Die übereilte Bestätigung ihrer komplett neuen Identität und ihres neuen Namens würde Lara zu verstehen geben, dass Sie als Mutter den Glauben an Ihre Tochter verloren haben. Lara sagt dann vieleicht: „Toll, dass du mich als Kai akzeptierst.“ Aber sie müsste insgeheim denken: „Sogar meine Mutter findet, dass ich kein richtiges Mädchen bin.“ In einem Satz: Bleiben Sie die Mutter Ihrer Tochter! Aber versuchen Sie trotzdem, Laras schwierige Gefühle aufzufangen. Wenn Sie dabei Hilfe brauchen, können wir gern wieder telefonieren oder schreiben.“.

Grausam: jungen Menschen die Unterstützung abgraben

Neben all den Horrorgeschichten, den Erzählungen von einer gefährlichen Einflussnahme durch soziale Medien, den medizinischen Fehlinformationen, ist eines besonders bitter: Hier versuchen rechte AkteurInnen im Namen ihrer Ideologie, Kindern und Jugendlichen die Unterstützung abzugraben, die sie dringend bräuchten. Eltern, die mit seriösen Informationsangeboten oder echter Beratung zu wertvollen Unterstützer*innen ihrer Kinder werden könnten, sollen dazu gebracht werden, ihr eigenes Kind in seiner Identität abzulehnen. Gleichzeitig wird der Austausch mit anderen jungen Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, verteufelt. Es ist eine Aufforderung, Kinder und Jugendliche nicht ernst zu nehmen, sie mit ihren Sorgen und Nöten allein zu lassen, ihnen zu vermitteln, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung sei.

Martin: Ein alter Bekannter

Unsere Recherchen haben ergeben, dass es sich bei unserem Telefonpartner um Martin Voigt handelt. Der in München lebende „Jugendforscher“, der vor allem zur Internetnutzung von Mädchen gearbeitet hat, fiel spätestens ab 2014 durch Agitation gegen sexuelle Vielfalt als Bildungsinhalt auf, veröffentlichte dazu u.a. in der FAZ. Ab 2017 arbeitete er zumindest für einige Zeit für Kristijan Aufiero/1000plus (inzwischen 1000plus-Profemina gGmbH), die die Finanzierungsstruktur für die falsche Schwangerschaftskonfliktberatung von Profemina stellen. In den letzten Jahren schrieb er wiederholt für die neurechte junge Freiheit bzw. gab Interviews für deren Videoformat. Er spricht dort von „Queerpropaganda“, behauptet „die Mädchen sind massiv beeinflusst durch euphorische Umwandlungsstories aus dem Internet und werden euphorisch gefeiert von so ner Transaktivistenszene, die sich breit gemacht hat“. Dabei beruft er sich auf Alice Schwarzer, „die sich das Phänomen sehr genau angesehen habe“. Martin Voigt ist also ein gut vernetzter rechter Akteur aus dem „Demo für Alle“-Umfeld. Was er nicht ist: Sozialarbeiter, Sozialpädagoge, Psychologe oder sonst irgendetwas, das ihn qualifizieren würde, ein solches Beratungsgespräch wie mit Kai zu führen.
Menschen wie Voigt werfen queeren Erwachsenen regelmäßig unrechtmäßig vor, sich an Kinder heranzumachen. Stattdessen sind sie es, die sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen Minderjährigen annähern und dabei zweifelhafte Kontaktwege einschlagen. Dabei haben sie nicht das Kindeswohl im Auge, sondern wollen die Sorge um Kinder für ihren antifeministischen, queerfeindlichen und rückwärtsgewandten Kulturkampf von Rechts instrumentalisieren.